Menschen mit gelber Armbinde und Blindenstock, die buchstäblich im Dunkeln tappen.
Das sind die Bilder, die wir oft vor unserem geistigen Auge haben, wenn es um Blindenwerkstätten geht.
Die VORwORTe haben eine besucht und möchten dieses Bild kräftig auf den Kopf stellen.

Wenn man die Betriebsräume des Blinden- und Sehbehindertenförderungswerks
(BSFW) im Wirtschaftspark Breitensee betritt, machen einem freundliche Menschen die Tür auf,
laufen umher, schlichten Waren in Regale, beladen Gabelstapler.

Keine Blindenstöcke, kein vorsichtiges sich durch die Gegend Tasten. Nanu, was ist denn hier los?
Ist das alles fake oder was?

vorworteDas Gespräch mit Geschäftsführer Bernd Ahrens bringt Licht ins Dunkel. Zu zeigen, 
dass man moderne Führungsinstrumente und betriebswirtschaftliches Denken mit sozialem Miteinander verbinden und im Sozialbereich anwenden kann,
das wollte Bernd Ahrens beweisen, als er 2006 zunächst in einem Altbau in Floridsdorf eine Dependance einer deutschen Blindenwerkstätte
gegründet hat. Mittlerweile ist das BSFW längst den Kinderschuhen entwachsen und steht auf eigenen Beinen: 20 Mitarbeiter*innen,
davon alle außer dem Geschäftsführer mit mehr als 50% Behinderung, stellen in unbefristeten Arbeitsverhältnissen
vorwiegend in Vollzeit, entlohnt zum Kollektivvertrag, fast 700 verschiedene Artikel her.
Großteils für den B2B-Bereich –
das bedeutet für Firmenkunden. Vom Besen bis zur Kerze, vom Geschirrtuch bis zum
Holzsteckenpferd für Kinder erstreckt sich das Sortiment.
Auch eine Korbflechterei und eine Seifenproduktion finden sich in den großzügigen Räumlichkeiten.
Tausende Kunden greifen pro Jahr auf die Produkte des BSFW zurück und wissen, dass sie bei der
als GesmbH organisierten Werkstätte
Qualität entlang des gesamten Geschäftsvorgangs bekommen.

Rechtlich gesehen sind die Arbeitsplätze im BSFW genauso wie alle anderen auch.
Die Zuschüsse für die Anstellung von Menschen mit Behinderung aus dem Ausgleichstaxenfonds kann jeder Betrieb bekommen,
die meisten zahlen aber lieber Strafe, anstatt anzustellen. Arbeitstechnisch
gesehen hingegen ist jeder Arbeitsplatz etwas ganz Besonderes:

Er wird angepasst an die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Person. Im BSFW arbeiten derzeit vier Menschen
ohne Gehör in Näherei und Raumpflege. Zwölf Mitarbeiter*innen haben unterschiedlich schwere Sehbehinderungen und
sind in der Produktion und Verwaltung tätig. In der Besen- und Bürstenbinderei sind ausschließlich Blinde und
Menschen mit schwerer Sehbehinderung beschäftigt. Jede Sehbehinderung erfordert andere Anpassungen: sei es
z.B. die Schriftgröße am Bildschirm oder eine Verstärkung des Kontrasts.
Dafür gibt es im BSFW jeweils eigene Hilfsmittel.

Die Endfertigung und Qualitätskontrolle für die Besen und Bürsten macht ein Mann im Rollstuhl.

Wer im BSFW arbeitet, bekommt eine ganz gezielte Einschulung: Zunächst trainieren NEBA-Fachkräfte
(Netzwerk für berufliche Arbeitsassistenz) mit den Jobanwärter*innen den täglichen Weg zur Arbeit.
Vorerst gemeinsam, dann als „Schatten“, der einspringen kann, wenn erforderlich. Dann geht es darum, sich in der
Firma zurecht zu finden. Auch das wird gemeinsam geübt.
Dieses Mobilitätstraining ermöglicht den Mitarbeiter*innen,
sich im Betrieb völlig frei zu bewegen. Also kein Blindenstock.

Dass niemand etwas im Weg stehen lassen darf, ist klar.
Das passiert aber auch kaum, da alle über die Bedürfnisse der anderen Bescheid wissen und Rücksicht nehmen.

Teamfähigkeit ist die allerwichtigste Voraussetzung. „Wenn die gegeben ist, dann klappt es fast immer,“
erzählt Bernd Ahrens. Wir finden dann in häufigen Gesprächen während eines Einstiegspraktikums heraus,
ob die Zusammenarbeit passt oder nicht. Wenn nicht, brechen wir die Sache gleich ab.“
Der Teamgeist wird auch im Alltag gelebt: Die Mitarbeiter*innen haben sich in Selbstorganisation zu kleinen
Gruppen für den Weg zur Arbeit zusammengeschlossen. Man trifft sich an einem Knotenpunkt und bestreitet
von dort aus die tägliche Anfahrt gemeinsam. Das macht es leichter, sich zurechtzufinden.

Ein paar Regeln gilt es einzuhalten, um das Miteinander gut zu gestalten:
„In der Arbeit wird nicht über Religion und Politik gesprochen. Das sind potenzielle Konfliktthemen, die in den Privatbereich gehören,“
meint Bernd Ahrens. Ein weiterer Punkt: Arbeitssprache ist Deutsch.
Die Mitarbeiter*innen kommen nämlich aus acht unterschiedlichen Herkunftsländern.

Das BSFW legt sich die Latte nicht nur im sozialen Bereich hoch. Auch ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind Top-Themen:
Der Großteil der Waren wird ganz lokal in Penzing gefertigt, das spart Transportwege.
Die Rohstoffe kommen hauptsächlich aus Österreich. Die Besen werden in einer Bauweise gefertigt,
die zwei Drittel des Holzes einspart. Der Betrieb arbeitet 100% papierlos.
Einlangende Papierpost wird eingescannt und das Papier genauso wie die Versandkartons zu Füllmaterial recyclet.
Die für die Seifenproduktion verwendeten ätherischen Öle sind 100% natürlich,
bei den Kerzen achtet man auf einen möglichst hohen pflanzlichen Anteil.

Zu allen Lieferanten gibt es persönliche Beziehungen,
die ein- bis zweimal pro Jahr aufgefrischt werden. Auch zu den Nachbarn im
Wirtschaftspark pflegt man den Kontakt.

Was sich Bernd Ahrens am meisten wünscht: „Wir haben täglich Tag der offenen Tür.
Uns sind Besucher*innen jederzeit willkommen.

Wir zeigen unseren Betrieb gerne her und möchten, dass die Menschen die Scheu verlieren.
Denn viele sind unerfahren im Umgang mit Behinderung und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen.
Bei einem Besuch bei uns findet man schnell heraus: Alles ganz normal.“

Also schauen Sie doch mal vorbei:
montags bis donnerstags von 8-16 Uhr, freitags von 8-13 Uhr
im Wirtschaftspark Breitensee, Goldschlagstraße 172, Stiege 1, 2. Stock.